Definition
Die infantile Zerebralparese
ist als Syndrom definiert, das nach einer Hirnschädigung auftreten
kann. Ein solcher Schaden ereignet sich in den meisten Fällen prä-
oder perinatal und nur in zirka 10 % der Fälle postnatal. Zu den
möglichen Ursachen zählen Entwicklungsstörungen des Gehirns,
Intoxikationen, Stoffwechselstörungen, Infektionen, ischämische
Insulte und traumatische Hirnverletzungen. Bei Neugeborenen sind vor
allem die Frühgeburt, ein zu niedriges Geburtsgewicht und eine
mögliche perinatale Hypoxie ursächlich für eine Zerebralparese. Zur
Prävalenz der ICP wurde in einer Studie mit 54.000 Kindern
ermittelt, dass im Alter von 7 Jahren 3,4 von 1.000 Kindern unter
einer Zerebralparese leiden.
Die Asphyxie (synonym
verwendet mit Hypoxie) führt zunächst zu einer Anpassung der
Hirndurchblutung, einer Abnahme des Hirnstoffwechsels und sodann
indirekt über eine Unterversorgung des Herzens mit Sauerstoff zu
einer sekundären Hirnschädigung. Das Herz vermag die Durchblutung
des Gehirns nicht mehr sicherzustellen. Es entsteht die
hypoxisch-ischämische Enzephalopathie, also eine Hirnschädigung
infolge mangelnder Sauerstoff- und Glukosezufuhr sowie
unzureichendem Abtransport von Kohlen- und Milchsäure. Diese
Schädigung ist dort ausgeprägter, wo das Gehirn weniger Kapillaren
aufweist. Aus dieser Asphyxie (Hypoxie) resultiert schliesslich die
Zerebralparese.
Das Krankheitsbild der
Zerebralparese wird charakterisiert zum einen durch das Ausmass der
Extremitäten-Beteiligung und zum anderen durch die Art der
motorischen Störungen.
Unter spastischer infantiler
Zerebralparese versteht man eine Störung, bei der sich bestimmte
Muskeln stark versteifen, was den Bewegungsablauf erschwert. Ursache
hierfür sind Schädigungen in bestimmten Bereichen der Hirnoberfläche
(Cortex), die für kontrollierte (willkürliche) Bewegungen zuständig
sind.
Typischerweise finden sich
Tetraplegien mit motorischer Störung aller vier Extremitäten und
weitgehender genereller Symptomatik, Diplegien, bei denen die
unteren Extremitäten schwerer betroffen sind als die oberen, und
Hemiplegien, bei denen nur eine Körperhälfte betroffen ist. Die
spastische Tonuserhöhung ist der häufigste Typ der Bewegungsstörung.
Daneben treten auch athetotische, ataktische oder Mischformen dieser
Bewegungsstörungen sowie hypotone Bewegungsstörungen auf. Für den
Patienten selbst steht die Kommunikationsmöglichkeit, das Bewältigen
alltäglicher Aktivitäten, die Mobilität in der häuslichen und
sozialen Umgebung sowie das Gehen im Vordergrund. Die jeweils
individuellen Bedürfnisse des Patienten und seiner Angehörigen
müssen im Rahmen der gesamten Therapieplanung unbedingt
berücksichtigt werden.
Formen der infantilen
Zerebralparese
-
Spastische Hemiplegie
ist die häufigste Form der infantilen Zerebralparese, bei der
vorwiegend eine Körperhälfte (d.h. ein Arm und ein Bein)
betroffen ist. Kinder mit dieser Lähmungsform werden im
allgemeinen mit der Zeit recht selbstständig, sie lernen zu
gehen, allerdings hinken sie dabei in der Regel und können oft
beide Arme nicht gleich gut benutzen.
-
Bei der spastischen
Diplegie sind beide Körperhälften betroffen und hier
hauptsächlich die Beine. Häufig tritt diese Form bei
Frühgeborenen auf. Oft sind die Beine nach innen gedreht und
überkreuzen sich in Höhe der Knie, was man als „Scissoring“
(Beinschere) bezeichnet. Kinder mit spastischer Diplegie sind in
der Lage, kurze Strecken zu gehen, für längere Wege oder ausser
Haus ist aber meist ein Rollstuhl erforderlich. Die Arme sind
zwar weniger stark betroffen, trotzdem fällt es diesen Kindern
oft schwer, ihre Hände zu benutzen, um Gegenstände zu greifen.
Ausserdem schielen Kinder mit spastischer Diplegie nicht selten.
Die schwerste Form der
infantilen Zerebralparese ist die spastische Quadriplegie (früher
unter der Bezeichnung Tetraplegie benannt), bei der beide Arme und
beide Beine betroffen sind. Kinder mit dieser Störung können im
allgemeinen nicht ohne Hilfe laufen oder sitzen. Ausserdem bestehen
oft Lernschwierigkeiten sowie Seh- und Sensibilitätsstörungen. Ein
häufiger Befund sind Schielen und epileptische Anfälle. Bei der
Athetose handelt es sich um Schädigungen in tiefer gelegenen
Hirnregionen, die für die Steuerung von Koordination, Gleichgewicht
und Qualität der Bewegungsmuster verantwortlich sind. Athetose
bedeutet unkontrollierte, langsame, schraubende Bewegungen der
Gliedmassen und des Rumpfes. Bei Kindern mit dieser Form der
infantilen Zerebralparese beobachtet man allerdings auch ruckende,
zuckende Bewegungen zu Geh-, Gleichgewichts- und Sprechstörungen (Dysarthrie)
sowie Beschwerden beim Schlucken. In manchen Fällen ist die Gesichts
- oder Zungenmuskulatur betroffen, was sich in Grimassieren oder
Speichelausfluss äussert. Die athetotischen Bewegungen verstärken
sich im allgemeinen, wenn das Kind aufgeregt ist, verschwinden
dagegen im Schlaf. Bei Kindern mit ataktischen infantiler
Zerebralparese (der seltensten Form der infantilen Zerebralparese)
sind Gleichgewicht und Koordination gestört. Beim Gehen schwanken
sie, und häufig kommt es zu Stürzen. Ausserdem zittern ihre Hände,
und sie sprechen undeutlich. Häufig finden sich Mischformen der
infantilen Zerebralparese, bei denen Spastik und Ataxie oder Spastik
und Atherose im Vordergrund stehen.
Unter frühkindlicher
Zerebralparese wird eine Gruppe von Symptomen zusammengefasst, deren
auffälligste Merkmale Bewegungs- und Haltungsstörungen sind.
Hervorgerufen werden diese Störungen durch Schädigungen bestimmter
Hirnregionen, welche für die Steuerung der Muskulatur verantwortlich
sind.
Die infantile Zerebralparese
führt im Kindesalter bereits zu deutlichen Verformungen der Füsse,
welche zum Teil unabhängig von der Belastung anzusehen sind. Je nach
der klinischen Manifestation unterscheiden wir zwischen Spastizität,
Athetose, Ataxie oder Hypotonie. Natürlich können Mischformen
ebenfalls auftreten. Die häufigste Form ist die Spastizität, die in
etwa 70% der Fälle auftritt.
Probleme der unteren
Extremität (Spitz- und Klumpfuss)
Bei Problemen im Bereich der
unteren Extremität ist immer zu berücksichtigen, dass alle Gelenke
als Funktionseinheit beurteilt werden müssen. Bei Kindern mit
Zerebralparese ist die häufigste Deformität in diesem Bereich der
Spitzfuss. Er tritt als Folge der Tonuserhöhung des M. Gastrocnemius
oder des M. Soleus oder dieser beiden Muskeln zusammen auf.
Eine Klumpfussdeformität
tritt häufig im Rahmen einer Hemiplegie auf. Bei Hemiplegikern kommt
es nach anfänglicher Spitzfussstellung unter Körpergewichtsbelastung
gelegentlich auch zu einer Knick-Senkfuss-Deformität, dem sog.
spastischen Plattfuss. Die Klumpfussdeformität entwickelt sich über
eine spastische Tonuserhöhung des M. Tibialis posterior, M.
Gastrocnemius bzw. M. Soleus in Kombination mit einer nur relativen
Schwäche der peronäalen Muskulatur.
Die
Knick-Senkfuss-Deformität des Fusses (spastischer Plattfuss) kann zu
mehreren Problemen führen. Häufig berichten die Patienten über
Schmerzen im Mittelfussbereich sowie im Vorfussbereich bei einem
sich entwickelnden Hallux valgus. Sekundär kann es im Laufe der Zeit
unter Körpergewichtsbelastung zum Bild des spastischen Hackenfusses
kommen, der mit dem Kauergang kombiniert ist. In der Analyse der
Fussfehlstellung ist durch die klinische und radiologische
Untersuchung des Sprunggelenkes auszuschliessen, dass eine
Valgus-Fehlstellung des Fusses durch die Änderung der Achse im
Bereich des oberen Sprunggelenkes bedingt ist.
Es ist entscheidend, die
Schwere der gesamten Pathologie und auch das Alter des Patienten zu
berücksichtigen. Darüber hinaus muss beurteilt werden, ob die
Spitzfussfehlstellung funktionell oder bereits kontrakt ist. Des
Öfteren wird irrtümlich bereits eine Kontraktur und Verkürzung der
Achillessehne angenommen, wobei mit der Bewegungstherapie dieser
Zustand durchwegs verbessert werden kann.
Die Spastik beruht auf einer
Verminderung der hemmenden Mittlersubstanz (GABA) auf GABAa -
Rezeptoren, die in breiter Form im gesamten Zentralnervensystem zu
finden sind. Fehlt diese Substanz so kommt es zu einer
unwillkürlichen und unkontrollierbaren Anspannung peripherer
Muskeln, die je nach Lokalisation und Stärke der Erkrankung den
ganzen Körper erfassen kann. Signale, die aus den peripheren
Bereichen kommen (Hitze, Druck, Kälte, Schmerz), werden im ersten
Motorneuron am Hinterhorn im Rückenmark verarbeitet und an die
Muskeln (rot) weitergeleitet. Absteigende Bahnen vom Gehirn (grün),
die über Synapsen (Transmitter - Stoff GABA) an dem Motorneuron
angreifen, steuern die Reaktion auf den Muskeln. Werden nun diese
absteigenden Bahnen unterbrochen, so kommt es zu einer
übersteigerten Anregung der Muskeln die sich dann in einer
unwillkürlichen und unkontrollierbaren Anspannung äussert. Spastik
ist dem zu Folge eine Störung der Nervenleitung im Gehirn oder im
Rückenmark durch unterschiedlichste Ursachen.
Auswirkungen auf den
Patienten und auf die Gesellschaft
Im täglichen Leben ergeben
sich oftmals schwere Auswirkungen durch die Spastik. Hier sind für
den Patienten die klinischen Auswirkungen wie verminderter Schlaf,
oft sehr starke Schmerzen, massive Einschränkung der Beweglichkeit
oft bis hin zur Bettlägrigkeit, schmerzhafte Kontrakturen sowie
Darm- und Blasenfunktionsstörungen zu nennen. Bei der täglichen
Pflege können einfache Dinge wie Ankleiden, Essen, Toilette, Baden,
Bewegungsübungen, Intimpflege, sowie Krankenpflege nur unzureichend
oder gar nicht durchgeführt werden. Rehabilitationsziele können oft
nur in geringem Masse oder unzureichend verwirklicht
werden.
Für die betreuenden Personen (Familie, Krankenschwestern,
Physiotherapeuten usw.) kommt es zu massiven pflegerischen,
finanziellen und zeitlichen Belastungen und Einschränkungen. Die
Belastungen für die Kostenträger durch aufwendige Pflege,
orthopädische Eingriffe und häufige Hospitalisierung sind enorm.
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